tina1984

Stufenweise Wiedereingliederung versus Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement – was ist der Unterschied?

Immer wieder lässt sich in der betriebsärztlichen Beratungspraxis erkennen, dass einerseits die Mitarbeitenden in Betrieben, auf der anderen Seite aber auch Personalverantwortliche sich nicht immer über die Unterscheidung zwischen der stufenweisen Wiedereingliederung und den betrieblichen Verpflichtungen im Rahmen eines Wiedereingliederungsmanagements im Klaren sind.

Dabei beziehen sich beide Begrifflichkeiten auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen und haben auch unterschiedliche Zielsetzungen.

Die stufenweise Wiedereingliederung, diese wurde ursprünglich einmal als Hamburger Modell bezeichnet, ist eine Vereinbarung zwischen einem Versicherten und seiner gesetzlichen Krankenversicherung bei der, trotz einer aktuell noch bestehenden Arbeitsunfähigkeit, ein Probearbeiten im Betrieb ermöglicht wird.

Angeregt wird ein solches Verfahren häufig vom behandelnden (und die Krankschreibung ausstellenden) Hausarzt, und auch der Arbeitsgeber des Versicherten kann das Verfahren als eine Möglichkeit im betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement anstoßen.

Es handelt sich also um ein Verfahren, welches – ohne dabei den Status des Versicherten – zu berühren, ein Erproben der wieder hergestellten Belastungsfähigkeit ermöglicht.

Dabei werden z.B. der Anspruch auf Krankentagegeld und andere Fristen, nicht tangiert. Die Anregung einer stufenweisen Wiedereingliederung bedeutet somit immer eine positive Prognosestellung, ohne den Versicherten in irgend einer Hinsicht schlechter zu stellen. Ziel ist es nach Erreichen des vereinbarten Enddatums dem Versicherten wieder eine reguläre Tätigkeit mit gleichzeitigem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu ermöglichen.

Formal erstellt der Hausarzt in Abstimmung mit seinem Patienten einen schriftlichen Plan, der zeitliche und inhaltliche Einschränkungen enthält. Z.B. kann darin festgelegt werden, dass in den ersten beiden Wochen arbeitstäglich drei Stunden Arbeit geleistet werden. Andere Einschränkungen können zum Beispiel von besonderen Belastungen (Schichtarbeit, Einschränkungen von Hebe- und Tragetätigkeiten) befreien.

Eine typische stufenweise Wiedereingliederung läuft über den Zeitraum von 4-8 Wochen, aber auch andere Zeiträume sind je nach Erkrankungsschwere möglich.

Nach Erstellung des Planes auf einem festgelegten Formular, auf dem neben dem Hausarzt auch der Versicherte unterschreibt, muss die Einwilligung des Arbeitsgebers eingeholt werden. Abschließend genehmigt die Krankenkasse und der Prozess kann starten.

Aufgrund der Komplexität des Verfahrens empfiehlt sich eine Einleitung ca. zwei Wochen vor dem geplanten Startbeginn.

Ist das Verfahren nicht erfolgreich, so kann es vom Versicherten, als auch vom Betrieb abgebrochen werden.

Nicht selten werden stufenweise Wiedereingliederungen nach erfolgter Rehabilitation von der Rentenklinik angeregt, um einen sanften Übergang in die Wiedereingliederung erfolgreich zu gestalten.

Problematisch aus Sich der Versicherten ist häufig die Dauer des Verfahrens, das aufgrund des im Vergleich zum Lohn niedrigeren Krankengeldes mit wirtschaftlichen Einbußen einhergeht. Andererseits demonstriert der längerfristig erkrankte Mitarbeiter seine Bereitschaft, seine Arbeitskraft wieder zur Verfügung zu stellen.

Was dagegen bedeutet das Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement gem. Sozialgesetzbuch IX im Vergleich?

Der Adressat des neunten Sozialgesetzbuches ist der Arbeitgeber. Dieser wird durch den Gesetzgeber verpflichtet einem Arbeitnehmer nach sechs Wochen andauernder Arbeitsunfähigkeit bezogen auf ein Kalenderjahr ein sogenanntes BEM Verfahren (Betriebliches Wiedereingliederungsverfahren) anzubieten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit nur einen Zeitraum oder mehrere Zeiträume umfassen.

Ziel des Verfahrens ist es, unter Mithilfe des erkrankten Mitarbeitenden festzustellen, ob durch betriebliche Maßnahmen eine Verbesserung der Gesundheit des Mitarbeiters erzielt werden kann. Ein kurzes Beispiel mag dies verdeutlichen:

Ein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit einer Tätigkeit mit Publikumsverkehr erkrankt seelisch so schwer, dass auch nach Symptombesserung eine Tätigkeit in der Öffentlichkeit nicht mehr möglich erscheint. Im Rahmen des eingeleiteten BEM Verfahrens wird unter Einbeziehung des Betriebsarztes festgelegt, dass eine Umsetzung in den Backoffice Bereich erfolgt. Andere Zielvorgaben können z.B. eine Umgestaltung des Mobiliar oder eine Veränderung des Dienstplanes betreffen.

Prinzipiell gilt dass der Arbeitgeber unter Einhaltung bestimmter Formalien, dem erkrankten Mitarbeitenden das BEM Verfahren anbieten muss. Eine Teilnahme aus Sicht des Versicherten ist immer freiwillig.

Beteiligte des Verfahrens sind der Mitarbeitende, sein direkter Vorgesetzter, sowie ein Beauftragter der Personalabteilung. Auf Wunsch bzw. nach Zustimmung des Versicherten kann auch der Schwerbehindertenbeauftragte, ein Vertreter der Personalvertretung und der Betriebsarzt im sogenannten BEM Team teilnehmen.

Über die Teamsitzung wird eine eigene Akte geführt, die datenschutzrechtlich von der Personalakte getrennt geführt wird.

Ergebnisse und Vereinbarungen werden schriftlich festgehalten.

Im Regelfall werden Folgetermine vereinbart, z.B. um den weiteren Verlauf zu besprechen und den Erfolg der festgelegten Maßnahmen zu evaluieren.

Wir konnten in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass eine betriebsärztliche Vorstellung des erkrankten Mitarbeiters vor dem eigentlichen BEM Team Verfahren häufig sehr hilfreich ist. Der Betriebsarzt unterliegt in diesem Gespräch der ärztlichen Schweigepflicht und kann auf Wunsch dem Mitarbeiterenden ein entsprechendes Attest zur Verfügung stellen, welches dieser mit ins BEM Verfahren mit hinein nimmt.

Da der Betriebsarzt/Betriebsärztin sowohl die gesundheitlichen Belange des erkrankten Mitarbeiters, als auch die betrieblichen Erfordernisse gut einschätzen kann, sind entsprechende Atteste oft für alle Beteiligten transparent und umsetzbar.

Die unterschiedlichen Verfahren “Stufenweise Wiedereingliederung – Hamburger Modell” und das Betriebliche Wiedereingliederungsmanagement gem. SGB IX sind somit unterschiedliche Verfahren, die jedoch immer sich ergänzende Ziele in der Reintegration eines erkrankten Mitarbeiters verfolgen:

  • Belastungserprobung
  • Nutzung der betrieblichen Ressourcen zur Reintegration des Mitarbeitenden
  • Zusammenfassung verschiedener Fachleute als Integrationsteam
  • Optimierung der betrieblichen Arbeitsbedingungen ggf. abgestimmt auf das eingeschränkte Leistungsvermögen des Mitarbeitenden
  • Kostenneutrale Reintegration ermöglicht dem Betrieb größere Flexibilität bei der Wiedereingliederung

Als Ihr Betriebsarzt stehe ich Ihnen bei allen weiteren Fragen rund um die “Stufenweise Wiedereingliederun” und das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement (BEM) immer gerne zur Verfügung!

Ihr Betriebsarzt Thomas Riebschläger